SELBSTVERSORGERREISEN

SELBSTVERSORGERREISEN ist praktisch betrachtet eine Mitnahme der Heimat auf REISEN, denn für alle TeilnehmerInnen ändert sich relativ wenig gegenüber dem Daheimsein, vielmehr treten die Alltagsprobleme wesentlich deutlicher hervor, da sie in der fremden Umgebung wesentlich schwieriger zu bewältigen sind als zu Hause. Eine Form des SELBSTVERSORGERREISEN ist das CAMPINGREISEN.

Zum SELBSTVERSORGERREISEN schreibt Friederike Leibl: "Einer lag schon wieder, erschöpft vom Frühstück, im Bett, einer sauste gerade nackt durchs Badezimmer, als das Zimmermädchen energisch an die Tür klopfte und uns ermahnte, endlich das Zimmer zu räumen. „Nein!“, brüllten die Kinder. Und „Nein!“ dachten auch ihre Eltern. Das war's. Der letzte Versuch, Urlaub im Hotel zu machen.Urlaub im Hotel heißt, folgen zu müssen. Den zeitlichen Vorgaben von Oberkellner und Zimmermädchen, den Einfällen des Küchenteams. Urlaub heißt aber, seine Zeit einteilen zu können, wie man will. Oder, wenn man Kinder hat, Schlafverhalten, Hunger und Launen der gesamten Familie irgendwie in Balance zu halten. Urlaub heißt, zumindest ein wenig Freiheit zu genießen, Wein zu trinken, wann man will, und sich keinen Wecker stellen zu müssen, damit man das Frühstück nicht versäumt. Das funktioniert nur, wenn man eine Wohnung, besser: ein Haus, zu Verfügung hat. Natürlich hat so ein Urlaub auch Tücken. Mit der Zeit lernt man Inserate richtig zu deuten („charmant“ heißt abgewohnt, „schlicht“ spartanisch) und immer einen kleinen Werkzeugkoffer mitzuführen. Die Gartentüre bricht beim ersten Öffnen aus den Scharnieren, der Sessel bei der Turnübung des Sohnes, die Duschkabine nach der Benützung durch den Ehemann. Selbstversorger zu sein heißt, zumindest einen Teil der Mahlzeiten selbst zuzubereiten, und das mit meist unzureichendem Werkzeug. Man improvisiert. Man lernt den Greißler kennen und den Fleischhauer. Und man tröstet die Kinder, wenn sie bei ihm zum ersten Mal ein Kaninchen sehen, dem das Fell über die Ohren gezogen wurde. Man findet Spuren der Besitzer und spürt für einen intimen Moment ein fremdes Leben. Das vergilbte Hochzeitsfoto der Großeltern. Eine Kinderzeichnung. Eine Tasse, auf der etwas von Liebe steht, und ihr Henkel ist abgebrochen. Urlaub auf diese Art erinnert vielleicht an daheim: das Chaos, der volle Geschirrspüler, die Haare im Waschbecken. Aber es belastet nicht. Man kann mit großer Geste die Unordnung ignorieren und abends einfach essen gehen. Und danach bei einem Glas Wein vor dem Haus die Grillen überbrüllen. Wer aus einem Hotel auscheckt, soll sich möglichst schnell entfernen, er darf vielleicht sein Gepäck noch unterstellen, aber sonst heißt es: Raus! Wer sein Häuschen räumt, bekommt meist noch einen Grappa und ein paar gute Wünsche zum Abschied geschenkt. Nachwinken inklusive. Schließlich haben wir ja auch das halbe Haus renoviert".
Quelle: Die Presse vom 19.06.2011